Tag 2: Di. 5.7.
Eis-Camp

Die Nacht war nicht besonders erholsam. Der Rücken wird sich erst an die Isomatte gewöhnen müssen. Die Enge und Hitze taten ihr Übriges. Macht aber nix, denn heute steht der erste Programmpunkt auf der Planung, weswegen man überhaupt hergekommen ist: Das Eis-Camp auf dem Festlandgletscher. Um den zu meistern, braucht man ein richtiges Frühstück. Es gab alles, was das Herz begehrt: Dunkles und helles Brot, Nougatcreme, Honig, verschiedene Wurst- und Käsesorten, Schinken, Milch, Kakao, Tee, Kaffee, Müsli, Jogurt. Mit einem Restaurant war unterwegs nicht zu rechnen. Auch war die Hoffnung, dass jemand einen Moschusochsen niederringt und kocht, gering. Also schmierten wir für die Wanderung belegte Brote. Der Rucksack musste diesmal Sachen für 2 Tage fassen. Zelte und Schlafsäcke wurden gestellt. Dafür waren Wechselschuhe Pflicht, denn das Eis des Gletschers ist im Sommer sehr nass.

Die Tour zum Eis-Camp wird von einem anderen Veranstalter organisiert. Normalerweise wird man von Kangerlussuaq mit dem Auto die 25 km zum Gletscherrand gefahren. Da wir gestern aber schon die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, sollte uns der LKW unterwegs einladen. Da blieb noch genügend Zeit in Richtung Inlandeis zu wandern.


Janke und Mauk nahmen an dieser Tour nicht teil. Sie wanderten zum Russel-Gletscher mit den Zelten, übernachteten dort und gingen wieder zurück. Wir wanderten die Hauptstraße entlang, die im Sandflugtal eben aus Sand, Kies und Geröll besteht. Unterwegs sahen wir wieder Moschusochsen und ein Rentier. Das Eis war jetzt immer öfter zu sehen. 

Am Aujuitsup Tasia, einem großen See, den das Schmelzwasser hinterlassen hat, machten wir Mittagspause. Als wir fertig wahren, kam auch gerade der LKW gefahren und nahm uns bis zum Point 660 mit.


Hier geht es nur noch zu Fuß weiter, denn über das Eis kann das Auto nicht fahren. Der Point 660 ist ein Berg mit ebendieser Höhe und stellt ein natürliches Hindernis für den Gletscher da. Ab hier beginnt die unendliche weiße Weite bis zur Ostküste. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm. 500 km nur Eis. Nicht mal Mücken gibt es hier! Wie wohltuend. Obwohl wir nur wenige Kilometer weit gefahren waren, herrschte hier an der Eiskante ein raues Klima. Ein eisiger Wind wehte vom Gletscher und die T-Shirt-Zeit war vorbei. 2 Niederländer waren aus Kangerlussuaq mitgekommen und nahmen an der Tour teil. Wir waren daher zu neunt, denn der Däne Kim leitete die Expedition.

Zu Beginn wurden 3 Pulkas mit den Schlafsäcken, Zelten und anderen Ausrüstungsgegenständen gepackt. Jeder musste Steigeisen anlegen, denn ohne die ist ein sinnvolles Fortbewegen auf dem Eis nicht denkbar. Und sogar ich setzte eine Sonnenbrille auf, das erste Mal seit ca. 20 Jahren. Aber das helle Eis und das gleißende Sonnenlicht sind ohne Brille schwer zu ertragen. Und dann ging es los. Kim, Astrid und der Holländer banden sich einen Strick um und zogen die Pulkas. Die ersten Schritte mit den Steigeisen sind gewöhnungsbedürftig, aber nicht so schlimm wie gedacht. Ein tolles und sicheres Gefühl. Das Eis ist tatsächlich recht nass. Überall sind Pfützen und kleine Bäche. Ohne wasserdichte Schuhe hätte man schnell nasse Füße. Beim Laufen kommt richtig Expeditionsgefühl auf. Ab und zu bleiben wir an schönen Eisformationen oder Gletschermühlen stehen und Kim erklärt uns viele Sachen.


Nach ungefähr einer dreiviertel Stunde erreichen wir den Punkt, wo das Camp entstehen soll. Es ist nicht einfach einen geeigneten Platz für die Zelte zu finden, denn die Landschaft ist sehr uneben. Zuerst wird das Küchenzelt aufgebaut und eingerichtet. Jeder hilft mit. Danach sind die Schlafzelte dran. Auch hier haben wir 3-Mann-Zelte. Wir haben sogar ein extra Toilettenzelt! Das beinhaltet ein typisch grönländisches Plumpsklo mit einem Sack. Im Übrigen werden die Zelte mit Eisschrauben arretiert. Es gab super dicke Schlafsäcke und Isomatten, obwohl die bei über 0 °C ihre Qualität nicht ausspielen können. Genauso gut sind alle Zelte. Schließlich kann das Wetter hier sehr schnell umschlagen. Vor allem mit Sturm muss man immer rechnen. Die Zelte sind für Windgeschwindigkeiten von bis zu 180 km/h ausgelegt. 

Vor dem Abendessen stand noch eine Wanderung auf dem Plan. Zuerst aber wird das Gehen mit den Steigeisen geübt. Schließlich müssen wir auch Eisberge hoch und runter, und da ist es besser, wenn man sein Werkzeug beherrscht. Wir wandern noch knapp 3 Stunden durch die beeindruckende lebensfeindliche Eiswüste. Meines Erachtens noch lebensfeindlicher als eine normale Wüste, denn da wächst doch meistens noch ein klein wenig dürres Gras o. ä. Hier existiert überhaupt keine Flora. Und außer winzigen Bärtierchen im Submillimeterbereich existiert gar nichts. OK, Polarfüchse und im Norden auch Eisbären gibt es schon, aber die sieht man im Allgemeinen nicht. Nun ja, auch die Bärtierchen sind bei ihrer Größe nicht sichtbar. Irgendwann kommen wir an einer beeindruckenden Gletschermühle vorbei.

Gletschermühlen sind höhlenartige Gebilde, in die meist von mehreren Seiten Gletscherbäche hineinfließen und unter großem Getose unter dem Eis verschwinden. Wohin das Wasser wirklich fließt hat man auch mittels hineingeworfenen GPS-Empfängern noch nicht herausgefunden. Vom Klang her ist es aber klar: Es fällt direkt hinein in die Hölle. Scheinbar wird auch dort Kühlwasser benötigt.

Mittlerweile sieht man am Himmel bestimmte Wolkenformationen, die laut Astrid auf Regen hindeuten. Da wir uns aber in der sonnenreichsten Gegend Grönlands aufhalten, ist Regen natürlich verboten, wenn wir schon mal da sind. Nach der Wanderung treffen wir uns alle im Küchenzelt, und es gibt heiße Getränke und wieder Trekkingnahrung aus der Tüte. Die Eisschrauben am Zelt müssen bei dem Tauwetter auch aller paar Stunden nachgezogen werden, damit das Zelt nicht wegfliegt. Rechtzeitig legen wir uns dann zum Schlafen. Am nächsten Tag stehen wieder lange Wanderungen auf dem Plan. Wir ließen diesmal unser Zelt gleich offen. Mit Mücken und Eisbären ist nicht zu rechnen. Die Frage "Was mach ich überhaupt hier?" stellte sich nicht mehr.  Allein dieser Tag war ein Grund nach Grönland zu kommen. Und es sollte noch besser werden.

 

  

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